Paraguay: Zuckerrohrbauern leben ihren Traum

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In der eigenen Fabrik aus dem eigenen Zuckerrohr Rohrzucker zu produzieren, davon träumten die Mitglieder des paraguayischen Kleinbauernverbands Manduvira. Sie fanden Kreditgeber und bauten eine umweltfreundliche Raffinerie, in der sie seit 2014 Bio-Rohrzucker für den weltweiten Fair-Handels-Markt herstellen. Chapeau!

Als wir im August dieses Jahres in Paraguay waren, bereitete Olga Zaracho Salvioni einen Rote-Beete-Möhren-Petersilien-Saft mit einer ordentlichen Portion Rohrzucker für uns zu. „Ich verwende ausschließlich unseren eigenen Zucker. Er ist der beste und bio-zertifiziert!“ ließ uns unsere 54-jährige Gastgeberin stolz wissen. Olga ist Mitglied des Kleinbauernverbands Manduvira und damit Mitbesitzerin einer Zuckerfabrik. „Als in der Kooperative die Idee einer eigenen Zuckerfabrik entstand, war ich skeptisch. In Paraguay gehören die Raffinerien den Reichen und nicht armen Zuckerrohrbauern. Es war nicht immer einfach, aber wir konnten unseren Traum verwirklichen. Seit 2014 produzieren wir in unserer eignen Fabrik aus unserem eigenen Zuckerrohr Rohrzucker und exportieren ihn. Das ist großartig“, so Olga.

Kleinbauern besitzen eine eigene Zuckerfabrik

Manduvira hat ihren Sitz in Arroyos y Esteros und die 1.750 Kooperativenmitglieder leben in kleinen Weilern um das 25.000-Einwohner-Städtchen. Das Klima ist subtropisch und damit ideal für den Zuckerrohranbau. „Früher haben wir unsere Ernte an die Zuckerfabriken der Reichen verkauft. Die zahlten schlecht und wir wollten nicht mehr abhängig sein. Deshalb hat Manduvira 2005 eine Raffinerie gepachtet und wir produzierten unseren ersten eigenen Zucker. Die Fabrik war allerdings 100 Kilometer von unseren Feldern entfernt, veraltet und teuer in der Miete, weshalb wir Kreditgeber für eine eigene Raffinerie suchten,“ erzählte uns Olga. Die Kleinbauern wurden fündig. Sie konnten ihr 15-Millionen-Dollar-Projekt mit Geldern aus der Fair-Trade-Prämie, dank Darlehen von Oikocredit und anderen Investoren sowie mit Unterstützung des Fairtrade Access Fund finanzieren.

Zuckerrohrernten ist Männerarbeit

Zuckerrohr wird in Paraguay von Juni bis November geerntet und so herrschte auf den Feldern Hochbetrieb, als wir da waren. Weil es unglaublich anstrengend ist, ernten ausschließlich Männer das gigantische, süße Gras. Sie schneiden von Hand die vier Meter hohen Zuckerrohre mit der Machete auf Bodenhöhe ab und entfernen die zuckerlosen Blätter, die als Naturdünger auf den Feldern liegen bleiben. Die Rohre selbst transportieren sie auf ihren Schultern zu Holzkarren, die sie mühevoll beladen. Wie alle anderen Manduvira-Mitglieder, so beschäftigen auch Olga und ihr Ehemann Eulogio Saisonarbeiter. Sie helfen beim Ernten, Pflügen und Anpflanzen. Zuckerrohr ist eine mehrjährige Pflanze, die nach acht Ernten ausgedient hat, so dass alle acht Jahre neue Stecklinge auf den Feldern ausgebracht werden müssen.

Ochsen ziehen das geerntete Zuckerrohr zur Raffinerie

Weil die meisten Manduvira-Kleinbauern keine eigenen Ochsen haben, engagieren sie in der Erntezeit neben den Erntehelfern auch Ochsenbesitzer, die die mit dem geschnittenen Zuckerrohr beladenen Karren zur Raffinerie transportieren. Dort wird das Zuckerrohr gewogen, zerkleinert und ausgepresst, so dass ein trüber Rohsaft entsteht, der mithilfe von Kalk gefiltert wird. Das Endprodukt ist ein klarer Dünnsaft mit einem Zuckergehalt von etwa 16 Prozent, aus dem Manduvira je nach Kundenwunsch Rohrohrzucker oder Vollrohrzucker herstellt.

Rohrohrzucker gibt es in unterschiedlichen Goldschattierungen

Wir hatten die Gelegenheit, die weitläufige Zuckerfabrik mit ihrem Manager Arnaldo Molina zu besuchen. Er führte uns über Stahltreppen und schmale Wege zur Verdampfungsstation, in der der Dünnsaft erhitzt und eingedampft wird, so dass Zuckerkristalle und Melasse entstehen. Durch Raffination wird die Melasse von den Zuckerkristallen getrennt, wobei Manduvira Rohrohrzucker in unterschiedlichen Goldschattierungen auf den Markt bringt. Je weniger er raffiniert wird, desto melasse- und damit vitamin- und mineralstoffhaltiger, dunkler und geschmacksintensiver ist er.

Vollrohrzucker wird manuell hergestellt

Während die Rohrohrzuckerproduktion supermodern-industriell ist, erfolgt die Vollrohrzuckerherstellung manuell. Wir durften die Produktionsstätte besichtigen, in der Arbeiter den Dünnsaft in offenen Kesseln einkochen, trocknen und mahlen. Weil er nicht raffiniert wird, bleibt die Melasse komplett erhalten. Sie ist reich an Vitaminen und Mineralstoffen sowie für den Karamellgeschmack und die braune Farbe des Vollrohrzuckers verantwortlich.

Durch die Zuckerfabrik sind 200 neue Arbeitsplätze entstanden

„Manduvira ist seit 1999 Fairtrade- und seit 2004 bio-zertifiziert, weshalb unsere Hauptkunden Fair-Handels-Partner und Bio-Großhändler in 25 Ländern weltweit sind. Sie schätzen nicht nur die hohe Qualität unseres Rohrzuckers, sondern auch, dass wir eine umweltfreundliche, energieautarke Fabrik gebaut haben. Beim Auspressen des Zuckerrohrs bleiben fasrige Reste zurück. Diese sogenannte Bagasse verbrennen wir vor Ort, um Wärme und Strom für die Rohrzuckerproduktion zu erzeugen. 90 Prozent unserer Beschäftigten sind Söhne und Töchter unserer Zuckerrohrbauern. Wir haben mit der Fabrik 200 Arbeitsplätze geschaffen, die auch dazu beitragen, die Abwanderung der jungen Generation in die Hauptstadt einzudämmen“, dozierte Arnaldo.

In zehn Jahren will Manduvira schuldenfrei sein

Bislang verdienen die Manduvira-Mitglieder kein Geld mit der Zuckerfabrik. Der gesamte Gewinn wird für die Rückzahlung der Kredite aufgewendet. In zehn Jahren will Manduvira schuldenfrei sein. Bis dahin verdienen die Mitgliedsfamilien ihren Lebensunterhalt vor allem mit dem Verkauf ihres Zuckerrohrs an ihre eigene Raffinerie. Dank des Fairen Handels erhalten die Bauern einen ordentlichen Preis für ihre Ernte. Hinzu kommt eine Fair-Trade-Prämie, die pro Tonne Zuckerrohr 80 US-Dollar beträgt. 50 Prozent des Prämiengeldes schüttet Manduvira direkt an die Zuckerrohrbauern aus, so dass sie eine gute Ausbildung für ihre Kinder finanzieren, ihre Häuser renovieren und den Anschluss ans öffentliche Strom- und Wassernetz bezahlen können.

Manduvira betreibt eine Gesundheitsstation

Die anderen 50 Prozent der Fair-Trade-Prämie werden für Gemeinschaftsprojekte aufgewendet, wie technische Beratungen für die Kleinbauern, Schulmaterialien für ihre Kinder und die Vergabe günstiger Kleinkredite. Außerdem betreibt Manduvira in Arroyos y Esteros eine Gesundheitsstation, in der ein Allgemeinmediziner und ein Zahnarzt sowie eine Gynäkologin und eine Physiotherapeutin praktizieren. Die Kooperativenmitglieder müssen 20 Prozent der anfallenden Behandlungskosten selbst bezahlen, für Nichtmitglieder ist die Gebühr etwas höher.

Gesüßter Rote-Beete-Möhren-Petersilien-Saft schmeckt himmlisch

„Mit der Fair-Trade-Prämie finanziert Manduvira noch ein weiteres Projekt, das sich „Ernährungssicherheit“ nennt. Ich nehme an dem Projekt teil und baue Bohnen, Maniok, Möhren, Rote Beete, Kopfsalat, Kräuter und vieles mehr auf unserer Finca an. Alles ist bio und wir essen einen Teil des gesunden Gemüses selbst. Den anderen Teil verkaufe ich auf dem Markt in Arroyos y Esteros und so haben wir ein zusätzliches, wöchentliches Einkommen“, klärte uns Olga auf. Die Zutaten für den Rote-Beete-Möhren-Petersilien-Saft, den sie uns servierte, stammten aus ihrem eigenen Garten. Wir fanden den Gemüsetrunk himmlisch, nicht zuletzt weil er hellgoldenen Rohrohzucker enthielt.

Manduvira-Rohrzucker gibt Fair-Trade-Süßigkeiten das gewisse Etwas

Rohrzucker von Manduvira ist auch in Deutschland erhältlich, sowohl pur als auch versteckt in zahlreichen Süßigkeiten. Ihre Schokoladen, Kekse und Fruchtgummis stellen die deutschen Fair-Handels-Organisationen GEPA, EL PUENTE und WeltPartner unter anderem mit dem paraguayischen, bio-fairen Rohrzucker her. Außerdem süßt die bayrische Molkerei Berchtesgadener Land einen Teil ihrer Naturland Fair zertifizierten Milchprodukte mit Manduvira-Rohrzucker.

Rohrzucker versus Rübenzucker

Neben Zuckerrohr wird Zucker auch aus Zuckerrüben gewonnen, die im gemäßigten Klima Europas wachsen. 75 Prozent des weltweit produzierten Zuckers sind Rohrzucker und 25 Prozent Rübenzucker, wobei beide aus Saccharose bestehen und mit ähnlichen Verfahren hergestellt werden. Weil melassehaltiger Rohrübenzucker unangenehm schmeckt, kommt Rübenzucker ausschließlich als raffinierter Zucker in den Handel. Er enthält keine Vitamine und Mineralstoffe und ist weiß, es sei denn er wurde braun eingefärbt. Weil Rohrzucker vitamin- und mineralstoffreicher ist als Rübenzucker, gilt er als gesünder. Das ist allerdings ein Irrglaube, denn der Mineralstoffgehalt liegt selbst im Vollrohrzucker bei gerade mal eineinhalb Prozent. Um einen Gesundheitsvorteil zu erzielen, müsste man kiloweise unraffinierten Zucker essen, und wer will das schon?

 

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