Suzan Sahori ist eine wichtige Persönlichkeit der internationalen Fair-Trade-Bewegung. Wir haben uns mit der christlichen Palästinenserin in ihrer Heimatstadt Beit Sahour ausgiebig unterhalten: über kleine Kunsthandwerker und den Fairen Handel in Palästina, ihr persönliches Leben und die Chancen auf Frieden im Heiligen Land.
Kennengelernt haben wir Suzan Sahori 2015 in Frankfurt auf der Konsumgütermesse Ambiente. Sie ist die Managerin der palästinensischen Fair-Handels-Organisation Bethlehem Fair Trade Artisans (BFTA) und war mit einem Messestand vertreten. Inmitten von Weihnachtskrippen aus Olivenholz und farbenprächtiger Keramik hat sie uns in ihre Heimatstadt Beit Sahour eingeladen. Beit Sahour liegt im Bethlehem-Distrikt und 80 Prozent der Bevölkerung sind, genau so wie Suzan, Christen. Wir haben die Einladung gleich zwei Mal angenommen und Suzan im Oktober 2017 und Dezember 2018 in Palästina besucht. Die Zeit mit Suzan war für uns sehr erfüllend und wir konnten dieses Interview mit der 56-Jährigen führen.
Wir freuen uns sehr, bei Dir in Palästina zu sein, und finden das Gebäude, in dem BFTA seinen Sitz hat, wunderschön.
Ja, es ist ein richtig schönes Gebäude. Es liegt in Beit Sahours Altstadt und ist nicht weit von der Geburtskirche in Bethlehem entfernt. Ich freue mich auch, dass Ihr hier seid. Herzlich willkommen!
Mit wie vielen Kunsthandwerkern arbeitet BFTA zusammen?
Wir arbeiten momentan mit 39 Kunsthandwerkern zusammen. Manche sticken. Andere töpfern oder stellen aus Olivenholz christliche Accessoires her.
Du hast BFTA 2009 gegründet. Warum?
Mir ist aufgefallen, dass sehr viele kleine Produzenten, insbesondere Olivenholzschnitzer, sehr stark unter der Sperrmauer leiden, die seit 2002 Palästina und Israel trennt. Vor 2002 konnte jeder palästinensische Kunsthandwerker nach Jerusalem fahren und seine Waren für gutes Geld an israelische Partner verkaufen. Nun ist das nicht mehr möglich, weil wir Palästinenser nicht mehr nach Israel einreisen dürfen. Die Schnitzer müssen ihre Kreuze, Weihnachtskrippen und Heiligenfiguren für wenig Geld an Mittelsmänner abgeben, die sie nach Jerusalem bringen. Oder sie verkaufen sie an die großen Souvenirshops in Bethlehem, die die christlichen Accessoires in Kommission nehmen und schlecht bezahlen. Auch wenn es im Heiligen Land viele Pilger gibt, können die kleinen Schnitzwerkstätten kaum überleben. Ich habe BFTA gegründet, um kleine Kunsthandwerker zu unterstützen. Wir suchen Absatzmärkte für ihre Waren und exportieren sie nach den Prinzipien des Fairen Handels.
Das bedeutet, dass ihr den Kunsthandwerkern einen fairen Preis bezahlt?
Ja, wir bezahlen unseren Kunsthandwerkern für ihre Produkte faire Preise. Außerdem entwickeln wir gemeinsam mit ihnen neue Designs und wir unterstützen beispielsweise die Schnitzer bei der Beschaffung des Olivenholzes. Obendrein kümmern wir uns um die Zertifikate. Will man beispielsweise Küchenaccessoires exportieren, muss man nachweisen, dass Grenzwerte für Blei und Cadmium nicht überschritten werden und sie lebensmittelecht sind. In Palästina gibt es keine Laboratorien. Deshalb schicken wir Holzbesteck- und Keramikgeschirrproben nach Israel, wo Speziallabors für uns die Tests durchführen. Das ist sehr teuer und die Zertifikate müssen alle fünf Jahre erneuert werden. Die Kosten teilen wir uns mit den Kunsthandwerkern. Wir brauchen die Tests. Ohne Zertifikate können wir nicht exportieren.
„Breaking the silence behind the wall“ ist das Motto von BFTA. Was ist damit gemeint?
Auch wenn sie acht Meter hoch und unüberwindbar ist, gehen wir in mehrfacher Weise durch die israelische Sperrmauer hindurch! Die Welt soll das Heilige Land nämlich nicht nur als Krisengebiet wahrnehmen, sondern auch etwas über das alltägliche Leben in Palästina erfahren.
Erstens brechen wir das Schweigen, weil wir allen ökonomischen und politischen Schwierigkeiten zum Trotz dank des Fairen Handels typisches palästinensisches Kunsthandwerk exportieren. Wir geben unseren weltweiten Kunden Einblicke ins Leben in Palästina, denn sie wissen bei jedem Produkt, wer es hergestellt hat. Sie können die Geschichte eines jeden einzelnen Kunsthandwerkers auf unserer Website nachlesen.
Zweitens brechen wir das Schweigen, weil wir in der ganzen Welt mit Fair-Handels-Akteuren zusammenkommen und uns unterhalten, sei es bei den Konferenzen der World Fair Trade Organization, die alle zwei Jahre stattfinden, oder auf internationalen Messen wie der Ambiente in Frankfurt.
Drittens brechen wir das Schweigen, weil wir auch mit israelischen Partnern zusammenarbeiten. Es gibt auch israelische Organisationen, die in Frieden leben wollen und an Humanität glauben. In Israel ist unser wichtigster Handelspartner Sindyanna of Galilee. Die Organisation ist, genau so wie BFTA, Mitglied der World Fair Trade Organiszation. Normalerweise treffen wir uns in Palästina. Einmal hatten wir eine Sondereinreisegenehmigung und konnten uns mit unseren israelischen Freunden im American Colony Hotel in Jerusalem treffen. Wir haben zusammen gegessen, uns unterhalten und gemeinsam gefeiert, dass wir alle Menschen sind.
Muss man mutig sein, um sich im Heilgen Land für den Fairen Handel zu engagieren?
Nein, nicht mutig. Aber ich glaube, dass es die Fair-Handels-Organisationen in Israel schwerer haben als wir hier in Palästina. Sindyanna of Galilee beispielsweise arbeitet mit israelischen und palästinensischen Frauen zusammen. Die Organisation glaubt an ein friedliches Zusammenleben zwischen Arabern und Juden und vertritt öffentlich die Meinung, dass die Menschen in Palästina mehr Unterstützung benötigen. Das finden nicht alle Israelis gut. Sindyanna of Galilee ist immer wieder Kritik ausgesetzt.
Wird die Arbeit von BFTA von israelischer Seite behindert?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe großen Respekt vor den israelischen Transportfirmen, mit denen wir zusammenarbeiten. Sie haben noch nie eine Lieferung verzögert oder uns Schwierigkeiten gemacht. Wir können den Transport unserer Waren nicht selbst organisieren, weil wir nicht berechtigt sind, nach Israel und damit zum Hafen von Haifa zu fahren. Lokale Transporteure bringen unser Kunsthandwerk zum Checkpoint und übergeben es dort an die israelischen Transportfirmen. Die erledigen dann die Kontrollen und wickeln die Ausfuhr ab. Wir arbeiten gut zusammen. Ich hatte noch nie Probleme mit dem Export.
Unterstützen Fatah und Hamas den Fairen Handel in Palästina?
Mit der Hamas haben wir überhaupt nichts zu tun. Die lehnen wir völlig ab. Die Fatah ist eine politische Partei und ein paar unserer Mitglieder sind Fatah-Mitglieder. Ich selbst gehöre keiner Partei an. Ich bin einfach ein Mensch, der an Frieden und Humanität glaubt.
Zu unseren Festen und Events laden wir immer Politiker ein, zum Beispiel unseren Premierminister Rami Hamdallah oder unseren Tourismusminister Rula Ma’ayah. Normalerweise kommen sie und kaufen Kunsthandwerk unserer Produzenten. Das ist ein Anfang. Wir erklären den Politikern die Idee des Fairen Handels und werben für eine Politik, die den kleinen Produzenten zugute kommt. Nur wenn sie mit ihrem Talent und Handwerk überleben können, bleiben die Kunsthandwerker in Palästina wohnen. Wenn sie zu wenig Geld verdienen und keine staatliche Unterstützung erhalten, steigt das Risiko, dass sie auswandern und unsere Traditionen verloren gehen.
Denkst du, dass Frieden im Heiligen Land möglich ist?
Frieden ist möglich, aber nicht in meinem Leben. Vielleicht in 50 Jahren. Ich wünsche mir, dass wir Graswurzelinitiativen mehr ins politische Geschehen involviert werden. Wir müssen von beiden Seiten stärker gehört werden. Irgendwann wird Frieden möglich sein. Ich bin davon überzeugt, dass Araber und Juden hier zusammenleben können.
Du hast bereits erwähnt, dass Du jüdische Freunde hast.
Ja, ich habe jüdische Freunde. Nicht nur bei Sindyanna of Galilee. Auch andere.
Kannst du dir eine Freundschaft mit einem ultraorthodoxen Juden vorstellen?
Ich weiß nicht. Das ist eine komplizierte Frage. Es wäre schwierig.
Sprichst du Hebräisch?
Ich habe mehrere Hebräisch-Kurse gemacht, aber leider wieder viel vergessen. Wenn ich mit meinen jüdischen Freunden zusammenkomme, sprechen wir immer Englisch, und meine jüdischen Freunde können besser Arabisch als ich Hebräisch. Wenn wir uns gegenseitig verstehen und hier zusammenleben möchten, müssen wir die Sprache der anderen sprechen. Araber und Juden haben ähnliche Traditionen. Wir essen alle Falafel und Hummus! Wir sollten uns auch verständigen können.
Ist es möglich, in Beit Sahour zu leben, ohne etwas von Politik und Religion mitzubekommen?
Man kann Politik und Religion nicht ignorieren, aber man kann im Bethlehem-Distrikt relativ gut leben. Hier ist es ruhiger als in anderen Distrikten, weil Bethlehem eine Pilgerstadt ist. In Bethlehem gibt es viele Hotels und Pubs, weil Christen aus aller Welt hierher kommen.
Wie ist dein tägliches Leben? Ist es vom Nahost-Konflikt und der Sperrmauer beeinträchtigt?
Ja, auf jeden Fall. Wir leben hier wie in einem Ghetto. Wir sind umgeben von jüdischen Siedlungen und der Sperrmauer. Wenn ich morgens aufwache, weiß ich nicht, ob die Straßen voller Soldaten sind, weil irgendwo etwas vorgefallen ist. Wenn ich mit dem Auto fahre, ist am Checkpoint 300 Schluss. Die Sperrmauer hindert mich daran, einen Ausflug nach Jerusalem oder Tel Aviv zu machen. Wenn ich ins Ausland will, muss ich zuerst auf dem Landweg nach Jordanien zum Flughafen in Amman reisen. Das ist sehr strapaziös und zeitaufwändig.
Wir leben hier in Palästina mit vielen Einschränkungen. Diese Einschränkungen werden mir vor allem im Ausland bewusst. Wenn ich mich beispielsweise in Frankfurt in einen Zug setze und einfach nach Hannover, Holland oder Frankreich reisen kann. Außerdem liebe ich es, spätnachts in einem Restaurant zu essen und dann bedenkenlos mit der Straßenbahn zurück zum Hotel zu fahren. Auch wenn das in Palästina nicht möglich ist, möchte ich nirgends anders auf der Welt wohnen. Hier bin ich geboren. Hier ist mein Zuhause. Ich lebe sehr gerne in Palästina und mache das beste daraus!
Danke für das Interview.
Ich danke Dir.
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