Fairer Handel

Corona WELTWEIT: Eine kleine Befragung mit Fair-Handels-Partnern

Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie haben wir Fair-Handels-Partner, die wir in den letzten Jahren weltweit besuchten, befragt: zum Infektionsgeschehen und zur Impfwilligkeit in ihrer Organisation, zu Umsatzeinbußen und Gegenmaßnahmen, zu staatlicher Unterstützung, Veränderungen im Arbeitsalltag und ihren Wünschen fürs Jahr 2021. In Chile, Bolivien, Ghana, Palästina und Nepal haben diese fünf Fair-Trade-Aktive zwischen dem 10. und 29. März 2021 an der kleinen Befragung per E-Mail teilgenommen:

Marcela Cofré (Chile) ist Kunsthandwerkerin und Gründerin von Calypso. Der kleine Fair-Trade-Familienbetrieb hat elf Mitarbeiterinnen, die in Santiago Glasschmuck und Glasaccessoires produzieren.

Vania Rivero (Bolivien) ist Direktorin von Ayni Bolivia. Die Fair-Trade-Organisation arbeitet bolivienweit mit 25 kleinen Kunsthandwerksstätten zusammen, die Alpaka-Strickwaren, Keramik und Filzprodukte herstellen.

Nicholas Apokerah (Ghana) ist Gründer und geschäftsführender Direktor von TradeAID. Die Fair-Trade-Organisation vereint im Bolgatanga-Distrikt über 1.600 Kunsthandwerkerinnen, die aus Elefantengras Einkaufskörbe flechten.

Karmel Abufarha (Palästina) ist Marketingchef bei Canaan Palestine. Das Fair-Trade-Sozialunternehmen arbeitet im Westjordanland mit über 2.000 Kleinbauernfamilien zusammen, die für Öle, Tapenaden und Za‘atar bio-zertifizierte Oliven, Mandeln und Gewürze kultivieren.

Tara Baskota (Nepal) ist Geschäftsführerin der Kanchenjunga Tea Estate (KTE). Anteilseigner der Fair-Trade-Teefabrik sind über 100 Kleinbauern, die im Osten Nepals bio-zertifizierten Grünen, Schwarzen und Weißen Tee produzieren.

Marcela Cofré (Chile): Bei uns geht es allen gesundheitlich gut. An Corona ist bislang niemand erkrankt.

Vania Rivero (Bolivien): Aus der Verwaltung ist niemand an Corona erkrankt. Von den Kunsthandwerksstätten, mit denen wir zusammenarbeiten, fehlen uns verlässliche Daten. In der Glaubenswelt der bolivianischen Indígenas ist Corona keine Krankheit, sondern ein Fluch. Niemand möchte verflucht sein. Um den Fluch zu brechen, halten viele Indígenas ihre Corona-Erkrankung geheim.

Nicholas Apokerah (Ghana): Wir arbeiten in 19 Gemeinden mit 65 Gruppen zusammen, die über 1.600 Korbflechterinnen vereinen. Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden uns von den Gruppen 37 Tote gemeldet. Weil kaum getestet wird, ist es schwierig zu sagen, wieviele Sterbefälle in direktem Zusammenhang mit Corona stehen. Wir vermuten, dass etwa 50 Prozent, also etwa 18 Korbflechterinnen, an oder mit Corona gestorben sind.

Karmel Abufarha (Palästina): Zum Glück sind alle Beschäftigten und alle Bauern wohlauf. Bislang erkrankte niemand ernsthaft an Corona.

Tara Baskota (Nepal): Viele hatten Corona. Daran gestorben ist niemand.

Marcela Cofré (Chile): Unsere Verkäufe sind um 50 Prozent zurückgegangen. Zum einen bestellen unsere ausländischen Kunden kaum neue Ware, weil weltweit Geschäfte geschlossen oder nur eingeschränkt geöffnet sind. Zum anderen fehlen uns die Kreuzfahrtschiffe, die auf ihrem Weg nach Patagonien in Santiago halt machen und deren Gäste gerne unseren Glasschmuck kaufen.

Vania Rivero (Bolivien): Unsere Verkäufe gingen drastisch zurück. Alles begann mit der Stornierung einer großen Bestellung aus Italien, als Corona in Bolivien noch gar kein Thema war. Weitere Auslandsbestellungen wurden gecancelt und andere konnten wir wegen der strikten Ausgangssperre nicht bedienen. Neue Aufträge kommen nicht rein und auch innerhalb Boliviens verkaufen wir nichts, weil es keine Touristen gibt.

Nicholas Apokerah (Ghana): Unsere Verkäufe gingen seit Pandemiebeginn zurück. Das liegt vor allem am Rückgang der Bestellungen aus dem Ausland. In erster Linie exportieren wir die Bolga-Körbe. Die meisten westlichen Industrieländer waren und sind im Lockdown. Natürlich wirkt sich das negativ auf unsere Verkaufszahlen aus.

Karmel Abufarha (Palästina): Es kam zu Verkaufsverschiebungen. Produkte, deren Verkäufe von kommunalen Veranstaltungen und vom Netzwerken abhängen, wurden weniger bestellt. Dagegen nahmen unsere Online-Verkäufe und Verkäufe von Ingredienzen zu. Die Verschiebungen sind ausgeglichen und für uns okay.

Tara Baskota (Nepal): KTE macht hohe Verluste. Seit Ausbruch der Pandemie finden wir für 50 Prozent unserer produzierten Tees keine Käufer.

Marcela Cofré (Chile): In der Hoffnung, Einnahmen zu generieren, haben wir an zwei digitalen Messen teilgenommen, unter anderem am NY NOW Digital Market. Wenngleich wir nur einen Vertrag abschließen konnten, bin ich positiv gestimmt. Einkäufer und Verkäufer lernen immer besser, dieses neue Werkzeug zu nutzen. Ich bin davon überzeugt, dass digitale Messen zukünftig nicht mehr aus der Geschäftswelt wegzudenken sind. Schließlich ist es jederzeit möglich, dass ein neues Virus kommt und eine neue Pandemie auslöst.

Vania Rivero (Bolivien): Ich leite gemeinsam mit meinem Ehemann Eduardo Ayni Bolivia und wir erhalten seit drei Monaten kein Gehalt. Wir haben unsere privaten Rücklagen aufgebraucht und einen Kredit aufgenommen. Wie wir die Schulden zurückzahlen sollen, wissen wir nicht.

Nicholas Apokerah (Ghana): Wir haben Institutionen wie die Ghana Revenue Authority and Social Security und den National Insurance Trust gebeten, uns mehr Zeit zu geben, um unseren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen. Dennoch mussten wir drei Kollegen entlassen. Wegen Corona fehlen uns die Geldmittel, alle unsere Projekte weiterzuführen.

Tara Baskota (Nepal): Um die Verluste auszugleichen, suchen wir neue Kunden. Fallen Euch Handelspartner ein, die Interesse an unseren Tees haben könnten?

Marcela Cofré (Chile): Wir haben noch keine staatliche Unterstützung beantragt, sehen aber zwischenzeitlich die Möglichkeit, Geldmittel einzufordern. Die chilenische Regierung hat einige Programme ins Leben gerufen, die Unternehmern helfen. Wir hoffen, doch noch staatliche Unterstützung zu erhalten.

Vania Rivero (Bolivien): Zwar gab es ein paar staatliche Hilfsprogramme, keines traf jedoch auf Ayni Bolivia zu. Weder die Organisation noch wir Festangestellten haben Hilfe erhalten. Staatliche Unterstützung gab es jedoch für unsere Kunsthandwerker. Um die Folgen der strikten Ausgangssperre abzumildern, vergab die bolivianische Regierung Zuwendungen an bedürftige Familien, Mütter, Arbeitslose und Menschen mit Behinderung.

Nicholas Apokerah (Ghana): Nein.

Karmel Abufarha (Palästina): Die Regierung hat Richtlinien erlassen, um den Corona-bedingten Abschwung abzumildern. Wir erhielten die Erlaubnis, uns während des Lockdowns zwischen den verschiedenen Anbaugebieten zu bewegen. Das war sehr wichtig für uns, weil die Natur unsere Arbeit bestimmt. Finanzielle Unterstützung haben wir nicht erhalten.

Tara Baskota (Nepal): Wir haben bislang keine Hilfe vom Staat erhalten.

Marcela Cofré (Chile): In der Werkstatt haben wir die üblichen Corona-Schutzmaßnahmen eingeführt: Maske tragen, Hände waschen, Abstand halten. Drei Kunsthandwerkerinnen ziehen es vor, daheim zu arbeiten: Zwei fädeln Ketten auf und eine produziert bei sich zu Hause Schmuckzubehör aus Silber und Holz. Zwei Mitarbeiterinnen haben seit Pandemiebeginn Calypso verlassen: Die eine ging in den vorzeitigen Ruhestand und die andere hat gekündigt.

Vania Rivero (Bolivien): Die Arbeitsbedingungen der Kunsthandwerker haben sich eigentlich nicht geändert. Sie arbeiten soundso zu Hause im Familienverbund. Während der strikten Ausgangssperre hatten sie zeitweise kein Rohmaterial und nun fehlen ihnen Einnahmen aus dem Verkauf ihres Kunsthandwerks, weil Bestellungen und Touristen ausbleiben. Viele verkaufen ihre Ware oder auch Früchte und Gemüse auf dem lokalen Markt. Der informelle Sektor ist in Bolivien seit Pandemiebeginn rasant gewachsen und der Tauschhandel floriert.

Nicholas Apokerah (Ghana): Wegen der ausbleibenden Bestellungen haben die Korbflechterinnen kein Einkommen. Sie ernähren ihre Familien mit dem, was sie in der letzten Saison geerntet haben. Weil die Getreidespeicher leerer und leerer werden, rationieren ein paar Frauen bereits das Essen auf eine bis zwei Mahlzeiten täglich.

Wir von TradeAID ermuntern die Korbflechterinnen immer wieder, sich vor Corona zu schützen, indem sie ihre Hände gründlich mit Seife waschen, Abstand halten und wenn möglich zu Hause bleiben. Dank der Unterstützung eines Partners konnten wir 450 Korbflechterinnen mit Masken und Desinfektionsmittel ausstatten.

Karmel Abufarha (Palästina): In unserer Produktionsstätte und Ölmühle in Burqin können wir ganz normal produzieren. Abstands- und Hygieneregeln wurden eingeführt, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Unsere Bauern können ebenfalls ganz normal ihr Land bestellen. Alle erhalten ihren normalen Lohn. Canaan garantiert seinen Angestellten und Bauernfamilien auch in dieser Corona-Pandemie Stabilität.

Tara Baskota (Nepal): Zwischenzeitlich hat sich die Situation normalisiert. Der Tee kann ganz normal geerntet und weiterverarbeitet werden. Masken, Handschuhe, Abstand halten – solche Schutzmaßnahmen haben wir eingeführt. Die Anteilseigner und Angestellten der Teefabrik erhalten ihren normalen Lohn – das war auch während des Lockdowns so.

Marcela Cofré (Chile): Bereits im Januar wurde in Chile mit dem Impfen begonnen und es geht richtig gut voran. Alle Calypso-Mitarbeiterinnen werden sich impfen lassen. Die Impfungen bezahlt der chilenische Staat – beziehungsweise wir mit unseren Steuern.

Vania Rivero (Bolivien): In Bolivien wird bereits mit dem chinesischen Impfstoff geimpft. Eduardo und ich lassen uns impfen. Wir müssen aber noch warten, weil wir keine Risikopersonen sind. Wenngleich die Impfungen gratis sind, möchten sich viele Indígenas, so auch viele unserer Kunsthandwerker, nicht impfen lassen. Sie haben Angst und sind misstrauisch. In Bolivien gibt es viel Desinformation.

Nicholas Apokerah (Ghana): In Ghana wird bereits geimpft. Mit Astra Zeneca. Zuerst sind Regierungsangestellte, medizinisches Personal und Meinungsmacher an der Reihe. Bei den Korbflechterinnen gibt es unterschiedliche Meinungen zur Impfung. Die einen möchten sich impfen lassen, sobald dies im Bolgatanga-Distrikt möglich ist. Die anderen lehnen die Impfung aus religiösen Gründen ab (Im Bolgatanga-Distrikt ist der Animismus weit verbreitet; Anmerkung von lobOlmo). Die ghanaische Regierung hat sich verpflichtet, die Impfungen zu bezahlen.

Karmel Abufarha (Palästina): Es wurde mit dem Impfen begonnen. Zuerst kommt medizinisches Personal dran, dann ältere Personen und dann der Rest. Sich impfen zu lassen ist eine sehr persönliche Entscheidung. Manche möchten sich auf jeden Fall impfen lassen, um das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zu reduzieren. Andere finden die Impfung unnötig. Wer die Impfungen bezahlen wird, ist nicht klar. Sehr wahrscheinlich werden sie für die Allgemeinheit nicht gratis sein.

Tara Baskota (Nepal): Die nepalesische Regierung hat mit dem Impfen begonnen und bezahlt die Impfungen. Wir sind jedoch noch nicht an der Reihe.

Marcela Cofré (Chile): Die Antwort auf diese Frage ist vielfältig. Für Calypso wünsche ich mir mehr Stabilität und die Möglichkeit, weitere Kunsthandwerkerinnen einzustellen. Für die Asociación Chilena por el Comercio Justo, deren Präsidentin ich bin, wünsche ich mir, dass wir weitere Netzwerke knüpfen und neue strategische Allianzen eingehen können, die der Gemeinschaft dienen.

Vania Rivero (Bolivien): Am Leben bleiben! Wir befinden uns in einer Situation, in der das Überleben am wichtigsten ist. Solange wir und unsere Kunden leben, arbeiten wir. Wir haben die Hoffnung, dass die Pandemie irgendwann endet.

Nicholas Apokerah (Ghana): Wir wünschen uns einen massiven wirtschaftlichen Aufschwung sowohl auf nationaler Ebene als auch auf der Ebene unserer Organisation. Außerdem wünschen wir uns, die Korbflechterinnen noch besser unterstützen zu können, so dass sie sich von den Folgen der Pandemie möglichst schnell erholen. Wir denken an eine alternative Existenzsicherung und Gründerzentren für junge Männer und Frauen in den Korbflecht-Dörfern.

Karmel Abufarha (Palästina): Wir wünschen uns nichts, wir gestalten. Während der Pandemie haben wir einen voll funktionsfähigen Lieferservice für Solawi-Kisten entwickelt (Solawi ist die Abkürzung für Solidarische Landwirtschaft; Anmerkung von lobOlmo). So konnten unsere Bauern in der Zeit, in der frische Lebensmittel Mangelware waren, Menschen in der Stadt mit frischen Bio-Produkten versorgen. Mit dem Projekt haben wir in Palästina nicht nur einen Markt und Bewusstsein für Bio-Lebensmittel geschaffen, sondern wir erziehen auch eine neue Generation von Bauern, die das Land ökologisch bewirtschaften.

Es ist wichtiger denn je, Versorgungsketten zu entwickeln, die unseren Bedürfnissen, unserer Gesellschaft und Infrastruktur gerecht werden. Nur so können wir zukünftig den Unvorhersehbarkeiten des Lebens vorbereiteter, kompetenter und resilienter begegnen.

Bei Canaan hat jeder Unternehmensbereich einen Plan erarbeitet, welche Ziele er wie in diesem Jahr erreichen möchte. An erster Stelle sollen unsere Produktion und Kommunikationsprozesse optimiert werden.

Tara Baskota (Nepal): Wir wünschen uns mehr Kunden, um all unseren Tee verkaufen zu können.

Wir wünschen Euch alles erdenklich Gute. Herzlichen Dank für Eure Teilnahme an der Befragung.

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