Im Südwesten Ugandas lebten die Batwa Jahrhunderte ohne Kontakt zur Außenwelt im Bergregenwald. Sie wurden gezwungen, ihr Land zu verlassen, weil es 1991 den Status eines Nationalparks erhielt. An den Rand der Gesellschaft gedrängt, sind die Batwa heute von Armut betroffen.
Flora Manjara und ich sind derselbe Jahrgang. In den 1970er Jahren waren wir Kinder und in den 1980er Jahren Teenager. Während ich im Einfamilienhaus ein eigenes Spielzimmer hatte, siebenfach geimpft die Schule besuchte, im Verein turnte und Querflöte spielte, mit meinen Eltern Autourlaube machte und cool angezogen mit Gleichaltrigen in Discos abtanzte, lebte Flora fernab der Zivilisation im Bergregenwald: „Wir schliefen in Höhlen und machten zum Schutz vor den Wildtieren vor den Höhleneingängen Feuer. Wir jagten Buschschweine, grillten und aßen sie und naschten süßen Honig. Unsere Kleidung war aus Baumrindenvlies und Tierhäuten. Wir sammelten Medizinalpflanzen, um Krankheiten zu heilen, und hatten heilige Plätze, um Rituale für unsere Ahnen zu zelebrieren. An all das erinnere ich mich noch sehr gut. Ich war 15 Jahre alt, als mein Clan aus dem Wald vertrieben wurde.“ Flora ist eine Batwa. Der Ethnie der Batwa gehören in Uganda etwa 6.200 Menschen an. Das sind 0,02 Prozent der ugandischen Bevölkerung.
Um Berggorillas zu schützen, wurden die Batwa aus dem Wald vertrieben
Flora ist viel kleiner als ich, vielleicht einen Meter vierzig und damit Batwa-Mittelmaß. Die Batwa zählen zur kleinwüchsigen Bevölkerungsgruppe der Pygmäen und sie lebten Jahrhunderte als Jäger und Sammlerinnen in Einklang mit der Natur. Der wuchernd-grüne Bergregenwald war ihr Zuhause, gab ihnen Essen, Medizin und Zerstreuung, bis sie ab Mitte der 1980er Jahre von der ugandischen Armee zwangsumgesiedelt wurden. Um Berggorillas zu schützen, erhielt der angestammte Lebensraum der Batwa Nationalparkstatus und heißt seit 1991 Bwindi Impenetrable Forest – undurchdringlicher Wald – oder einfach Bwindi-Nationalpark.
Die Batwa leben nun am Rand des Bwindi-Nationalparks
Wir trafen Flora am Rand des Schutzgebiets im kleinen Dörfchen Kalehe, das sich malerisch an einen steilen Berghang schmiegt: „Als wir Vertrieben wurden, wussten wir überhaupt nicht, wie das Leben außerhalb des Waldes funktioniert. Die Regierung hat meinem Clan dieses Stück Land gegeben und uns uns selbst überlassen. Traditionell betreiben wir Batwa keine Landwirtschaft, wobei es hier soundso viel zu steil ist, um irgendetwas anzubauen. Unsere einzige Einkommensquelle sind die Touristen, die wegen der Berggorillas den Bwindi-Nationalpark besuchen. Wir verkaufen an sie selbst geflochtene Strohwaren und erzählen ihnen unsere Geschichte.“
Der Batwa Trail schafft Einkommen
Batwa Trail heißt das Angebot, das Floras Clan einstudiert hat. Auf einer kleinen, baumbestandenen Fläche werden die ausländischen Gäste mit Gesang und Tanz begrüßt. Dann demonstrieren verschiedene Mitglieder der Gruppe, wie sie früher Fallen bauten, Feuer machten, kochten und Schlafstätten errichteten. Floras Part ist es, eine kleine Rede an einem Mutaba-Feigenbaum zu halten. Aus dessen Rinde fertigten die Batwa Baumrindenvlies, das das älteste Textil der Menschheit ist. Dass Flora bei ihrem Auftritt einen Umhang aus Baumrindenvlies trägt, versteht sich von selbst! Je nachdem, wie viele Touristen kommen, sind die Einnahmen aus dem Batwa Trail mal höher, mal geringer bis hin zu nicht existent. Er bietet kein regelmäßiges Einkommen und damit Flora und den anderen keine Möglichkeit, ihrer prekären Lebenssituation zu entfliehen.
Die Batwa leben am Rand der Gesellschaft
Auch wenn seit ihrer Zwangsumsiedlung mehr als 30 Jahre vergangen sind, leben die Batwa immer noch am Rand der ugandischen Gesellschaft. Sie sind arm, werden unterdrückt und gelten als rückständig. In Dörfern wie Kalehe gibt es keinen Strom, kein fließendes Wasser und keinen Gesundheitsposten. Ein paar feste Steinhäuser, Regenwassertanks und kleine Solarpanels verdanken die einstigen Waldmenschen Wohltätigkeitsorganisationen. „Wir möchten keine Almosen, sondern echte Chancen. Unsere Kinder sollen die Schule besuchen und dann einen Beruf erlernen können. Unter den Rangern, die die Touristen zu den Berggorillas führen und die gutes Geld verdienen, sind keine Batwa, weil wir nicht entsprechend ausgebildet sind und kein Englisch sprechen.“ Als Ortsvorsteherin setzt sich Flora für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen in Kalehe ein und sie kämpft für mehr Respekt gegenüber den Batwa auf nationaler Ebene.
Die Batwa haben kein Recht, den Bwindi-Nationalpark zu betreten
Mich hat die Zusammenkunft mit meiner Altersgenossin tief beeindruckt. Vor dem Auseinandergehen wollte ich von Flora unbedingt noch wissen, ob sie als Kind häufig Berggorillas sah und sogar mit ihnen spielte? Ihre Antwort war nicht, wie erhofft, romantisch, sondern ernüchternd: „Als wir im Wald lebten, haben wir nur selten Berggorillas gesehen. Und wenn doch, hatte ich immer ein bisschen Angst vor ihnen. Seit unserer Zwangsumsiedlung sehe ich überhaupt keine Berggorillas mehr. Sie kommen nicht zu uns ins Dorf und wir Batwa haben kein Recht, den Bwindi-Nationalpark zu betreten. Es gibt zwar Sondergenehmigungen für den Besuch unseres früheren Zuhauses im Wald, die Beantragung ist aber kompliziert und mit Kosten verbunden.“
Die Zahl der Batwa hat sich reduziert, die Population der Berggorillas stabilisiert
Die Batwa sind Naturschutzflüchtlinge. Seit ihrer Vertreibung aus dem Bergregenwald hat sich ihre Zahl so stark reduziert, dass sie drohen, auszusterben. Der Bestand der Berggorillas hingegen ist seit Einrichtung des Bwindi-Nationalparks so stark gewachsen, dass ihr Status in der Roten Liste von vom Aussterben bedroht (critically endangered) auf stark gefährdet (endangered) zurückgestuft wurde.
Über unseren Besuch bei den Berggorillas im Bwindi-Nationalpark berichten wir im folgenden Blogpost.
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